Woher weiß ich, ob es sich bei dem Schmerz in der Fesselung um guten oder schlechten Schmerz handelt? Kann ich Schmerzen Wegatmen? Und wenn ich gar nicht masochistisch bin?
Schmerz und der Umgang mit ihm, ist eines der am häufigsten nachgefragten Themen innerhalb des Shibari.
Es lässt sich (zumindest innerhalb von Suspensions) selten vermeiden, dass niemals Situationen eintreten, in denen es (kurzfristig) zu schmerzhaften Positionen kommen kann.
Doch wie kann ich als gefesselter Partner damit umgehen und woher weiß ich denn, ob dieser Schmerz nun bedrohlich ist oder nicht?
Wichtig ist zunächst noch direkt von Beginn an zu sagen, das NIEMAND Schmerzen aushalten MUSS. Bondage muss nicht schmerzhaft sein. Niemand ist ein schlechterer Fesselpartner, wenn ihm etwas weh tut oder er dies nicht ertragen kann oder möchte. Möchte man Schmerzen in Fesselungen unter allen Umständen vermeiden, muss man jedoch mit der Einschränkung leben, dass man bestimmte Techniken oder Fesselarten dann auch nie ausprobieren sollte/wird. Im Klartext: es wird schwierig wenn du sagst, du möchtest unbedingt Suspensions machen, oder maximale Restriktion erleben, aber gleichzeitig unter keinen Umständen schmerzhafte Momente erfahren.
Wie du mit Schmerzen umgehst ist eine ur-persönliche und individuelle Sache. Jeder Mensch kann mit Schmerzen anders gut oder schlecht umgehen, empfindet bestimmte Stimuli schmerzhafter als andere. So finden manche Menschen dumpf-drückende Schmerzen besser auszuhalten als spitz-stechende, und andere empfinden es genau umgekehrt. Das hilft dir aber jetzt bei deinen Fragen vermutlich nicht wirklich weiter. Also versuchen wir dir ein paar konkretere Handlungstipps mit auf den Weg zu geben.
Wenn du Schmerzen empfindest, wird es unterschiedliche Reaktionen deines Körpers geben:
a)
Du fühlst deutlich Hektik und Stress in dir aufkommen, eventuell beschleunigt sich dein Pulsschlag, eventuell hast du das Gefühl Sterne oder weißes Licht zu sehen und in deiner Wahrnehmung existiert nichts anderes als dieser Schmerz, du empfindest Fluchtinstinkte und möchtest dieser Situation sofort entweichen.
b)
Du fühlst einen deutlichen Schmerzimpuls, jedoch keinen Fluchtinstinkt. Der Schmerz ist allumfassend wahrnehmbar und auch sehr intensiv. Eventuell beschleunigt sich dein Pulsschlag oder du gerätst ins Schwitzen. Du hast noch genug freie Kopf-Kapazität, dich zu fragen, ob das jetzt wohl so muss, dass das weh tut.
c)
Du fühlst einen deutlichen Schmerzimpuls, jedoch keinen Fluchtimpuls. Der Schmerz ist umfangreich wahrnehmbar, aber er stresst dich nicht. Du bist dir lediglich unsicher, ob das an dieser Stelle weh tun muss.
Schmerz ist ein wichtiger Indikator für eine potentiell (lebens-)bedrohliche Situation für unseren Körper. Deshalb fühlen wir uns im Umgang mit Schmerzimpulsen auch verunsichert, denn wir haben gelernt (und das ist richtig) Schmerzsignale Ernst zu nehmen, denn sie können uns davor schützen, beispielsweise die Hand auf einer heißen Herdplatte liegen zu lassen, oder das Knie bis zum ausrenken zu verdrehen. Vorher spüren wir Schmerz.
In einer Fesselung kannst du dich fragen, ob dein Schmerzempfinden eher in die Kategorie a), b) oder c) fällt. In Kategorie a) wirst du keine Möglichkeit haben, den Schmerz weg zu atmen oder zu ignorieren und das ist auch gut so, denn vermutlich könnte in deiner jetzigen Lage bald ein körperlicher Schaden eintreten, so stark ist deine Schmerzreaktion. Dein Körper setzt automatisch Adrenalin frei, das Fluchtinstinkte auslöst und reflexhaft zu einem verlassen der Position führt. Da du aber gefesselt bist kannst du die Position nicht eigenständig verlassen und es kann dann erst Recht zu Panik kommen. Kommuniziere schnell und klar, dass du auf schnellstem Wege aus deiner Lage befreit werden möchtest und nimm dir hinterher gemeinsam mit deinem Partner Zeit zu evaluieren was passiert ist und woran es lag. Kategorie a) ist eine Art von Schmerz, die ein Signal für einen potentiellen Schaden ist, den du nehmen kannst.
In Kategorie b) kannst du je nach Schmerzart und deinem eigenen Willen, den Schmerz aushalten zu Wollen, Lösungen finden mit dem Schmerz zu arbeiten. Dazu gleich mehr.
In Kategorie c) fehlt dir einfach noch die nötige Sicherheit den Schmerz einordnen zu können, mit zunehmender Erfahrung wirst du gut mit dem Impuls umgehen können.
Kategorie b) und c) sind Schmerzimpulse, die eher als Informand fungieren, nicht als Signal für einen akuten drohenden körperlichen Schaden.
a) kommuniziert: ALARM, AKUTE GEFAHR! SO SCHNELL WIE MÖGLICH ETWAS ÄNDERN! b) und c) kommunizieren: ACHTUNG, bitte nimm diesen Teil deines Körpers verstärkt wahr, hier kommt es zu ungewohnt hoher Dehnung/Krafteinwirkung, bitte hab da mal ein Auge drauf!
Für b) und c) gibt es ein paar Tipps, wie es leichter fallen kann, mit dem Schmerzimpuls umzugehen. Vorher steht aber eine entscheidende Frage im Raum: Möchtest du mit dem Schmerz arbeiten? Möchtest du überhaupt lernen, wie du mit dem Schmerz umgehen kannst?
Oder möchtest du lieber erst gar nicht in eine Situation kommen, in der du starke Schmerzen empfindest? So banal wie diese Frage klingt, sie ist zentral wichtig, damit du deine persönlichen Grenzen respektierst und deinem Partner kommunizieren kannst.
Möglichkeiten mit dem Schmerz zu arbeiten:
1.) Atmung:
Versuche dich auf deine Atmung zu fokussieren und atme langsam und tief ein und aus. Durch die Nase ein und durch den geöffneten Mund aus. Manchmal hilft es durch zu einem Kussmund geformte Lippen langsam die Luft hinaus zu pressen.
Je langsamer und fokussierter du atmest, desto ruhiger wird auch deine Herzfrequenz und desto besser kannst du den Schmerz annehmen und entgehst Stressreaktion und Panik.
Wichtig ist es nicht zu hyperventilierten (nur noch Luft einatmen, rein hecheln) und auch nicht vor lauter Schmerz und Überforderung einfach die Luft anzuhalten.
2.) Fokussieren und Ablenken
Wenn der Schmerz unterschiedliche Eigenschaften aufweist, zum Beispiel heiß und stechend zu sein, fokussiere dich auf eine Eigenschaft davon die du besser ertragen kannst, zum Beispiel nur auf das Gefühl der Hitze. Je präsenter dir das heiße Gefühl ist, desto mehr kannst du das stechen ausblenden.
Genauso kannst du, wenn zB das Seil an deinem Fußknöchel sehr stark weh tut, dich bewusst in dein Hüftseil, oder deine Oberkörperfesselung drücken um einen Gegenschmerz bzw. eine andere Qualität von Schmerz zu erfahren.
3.) Annahme
So leicht wie das klingt ist es nicht. "Nimm den Schmerz einfach hin". Hilfreich kann es sein, zu hören, dass sich der Schmerz nicht verändern oder intensivieren wird (z.B. kopfüber im Futomomo, verändert sich der Druck auf dem Schienbein nicht mehr, wenn die Position einmal erreicht wurde). Falls dein fesselnder Partner über diese Erfahrung verfügt, könnte er dir also diese Information geben. Das kann eine Akzeptanz und Annahme deinerseits erleichtern, da du die Angst, dass es noch heftiger werden könnte, beiseite schieben kannst.
Einen Schmerz anzunehmen ist eine bewusste Entscheidung, die man nicht auf die gleiche Art trifft, wie die Entscheidung ob man das rote oder blaue Kleid anziehen wird. Bewusste Annahme von Schmerz muss man lernen. Und das kann man, indem man jedes Mal, wenn man für sich spürt, man ist an seiner Grenze, noch ein klitzekleines bisschen länger dort verweilt, als man dachte, dass es geht um sich selbst zu beweisen, dass es möglich ist. Es ist wie wenn man als Kind in der Badewanne immer nochmal 1 Sekunde länger versucht hat die Luft anzuhalten. Durch die kontinuierliche Erfahrung, dass es doch besser geht, als wir erwartet haben, werden wir selbstbewusster in unserem Schmerzerleben und können uns dann wie ein inneres Mantra selbst vorbeten: "Doch es geht noch ein bisschen, du weißt, dass du es kannst, dir wird nichts passieren".
Es ist ein bisschen wie beim sogenannten "Runners High", in dem Moment in dem du denkst du kannst keinen einzigen Zentimeter mehr rennen, weil deine Beine brennen wie Feuer und deine Lunge gleich explodiert wirst du plötzlich mit Endorphinen geflutet und kannst noch weitere 10km laufen.
Die Endorphine werden auch beim Fesseln irgendwann freigesetzt. Und plötzlich merkst du: Oh! Es geht ja doch!
Diese Strategie ist eine, in die man hinein wächst, das gelingt meistens nicht von Anfang an, und es ist kontraproduktiv sich unter Druck zu setzen und zwingen zu wollen.
4.) Submissivität / Geschenk
Je nachdem in welchem Verhältnis du zu deinem Fesselpartner stehst kann es dir ein möglicher Zugang sein, dein Aushalten des Schmerzes als Geschenk an deinen Fesselpartner zu sehen und dich damit ganz bewusst in eine submissive Rolle einzufinden.
Bitte achte trotz allen Strategien auf dich und deinen Körper und nimm Warnsignale ernst. Falscher Stolz mit dem Schmerzsignale ignoriert werden und potentiell zu körperlichen Schäden führen ist nicht zielführend. Es ist immer besser zu früh aus einer Situation herauszugehen als zu spät und sobald du dich in einer Situation stark verunsichert fühlst, und damit unfähig bist zu evaluieren und entscheiden, ob dies eine gute oder schlechte Situation für dich ist, solltest du diese immer verlassen/ darum bitten diese verlassen zu können.
Kommunikation von Schmerz
Auch wenn du vielleicht laut atmest, stöhnst oder jammerst kann dein Fesselpartner nicht automatisch zuordnen, ob du Schmerzen hast oder einfach angestrengt bist. Und selbst wenn dein Fesselpartner feststellt, dass du Schmerzen hast, kann er nicht unbedingt wo und in welcher Qualität du Schmerzen hast. Dein Fesselpartner sollte dich fragen, wenn er verunsichert von deinem Zustand ist. Ansonsten liegt es an dir zu entscheiden, ob du das Bedürfnis hast deinen Schmerz mitzuteilen oder nicht.
Gründe die für das mitteilen sprechen:
- Du kannst sicher sein, dass dein Fesselpartner deinen Zustand genauso wahrnimmt wie du
- Du kannst mitteilen WO etwas weh tut und WIE es weh tut und auf WELCHE ART du dir vorstellen kannst, dass man dir helfen könnte
- Du kannst mitteilen, in welcher Intensität du den Schmerz empfindest (zB Skala 1-10) und dazusagen, wie lange du glaubst das so noch aushalten zu können. Dann hat dein Fesselpartner die Möglichkeit die Fesselung rechtzeitig zu ändern.
Wenn du in einer stressigen/schmerzhaften Situationen Schwierigkeiten hast, dich verbal mitzuteilen, kannst du mit deinem Partner auch non-verbale Zeichen vereinbaren.
Jörg und ich haben - wie du oben im Beitragsbild siehst - die Vereinbarung, dass ich seinen Finger in den Mund nehme solange alles in Ordnung ist bei mir. Wenn ich nicht mehr reagiere, weiß er, dass wir die Situation bald beenden müssen.
Diese Grafik ist von Discover Kinbaku (Berlin) http://discoverkinbaku.com/en/good-pain-vs-bad-pain-three-questions-strategy-to-navigate-your-rope-e...