Blog Post

Absichtsloses Fesseln 

  • von Lecia Fushicho
  • 11 Nov., 2023

Präsent im Moment sein und gucken was kommt 

Leistungsgesellschaft 

Wir leben in einer auf Effizienz und Leistung abzielenden Welt. Wir werden daran bemessen, was wir leisten. Deshalb ist uns sehr vertraut, Dinge zu tun, weil wir mit ihnen ein konkretes Ziel verfolgen, eine Absicht. 

Meist versuchen wir zielgerichtet und effektiv zu handeln.
Dabei kann es ein großes Glück sein, die Absichten loszulassen und zu schauen, was sich dann zeigt.

„Ich ging im Walde so vor mich hin und nichts zu suchen, das war mein Sinn…“ – wer anderes als Johann Wolfgang von Goethe hätte die innere Haltung der Absichtslosigkeit poetischer in wenige Worte gefasst? Bekanntlich findet der dichtende Spaziergänger ein wunderschönes Blümlein, gräbt es aus, pflanzt es im Garten wieder ein und freut sich fortan an seinem Glück.

Unsere Leistungsgesellschaft zwingt uns ihren Takt auf, der wenig Zeit für absichtsloses Tun, absichtsloses Schauen, für „einfach Sein“ lässt, ohne etwas an sich selbst oder andere verbessern zu wollen. Unter diesem Druck vergessen wir schnell, dass Absichtslosigkeit eine heilsame, transformierende Kraft ist. Sie lässt uns zur Besinnung kommen. Im Buddhismus wird Absichtslosigkeit sogar als eines der Tore zur Befreiung von allen Leiden bezeichnet.

Dabei geht es allerdings nicht darum, passiv zu werden und ohne innere Ausrichtung zu sein. Vielmehr wenden wir uns der Absichtslosigkeit bewusst zu, wir erforschen und kultivieren diese innere Haltung, in der wir zugleich präsent und offen sind.

Um beispielsweise absichtslos durch den Wald zu gehen, müssen wir uns durchaus auf den Weg machen. Wir gehen allerdings nicht, um Bäume zu bestimmen, unsere Fitness zu verbessern oder zu entspannen. Wir gehen nicht, um dafür Lob oder Fleißsternchen zu ergattern. Wir gehen in der Haltung der Achtsamkeit, offen und zugleich präsent für alles, was uns begegnet, neugierig und interessiert.

„Was begegnet mir jetzt?“ ist die immer wiederkehrende Frage, von der wir uns von Moment zu Moment leiten lassen können.

Auf das Fesseln übertragen 

Ohne Absichten in eine Fessel-Situation zu gehen, bedeutet vor allem sich davon zu befreien eine konkrete Fesselung anzustreben. Das Ziel zu verfolgen Pattern "X" oder Pose"Y" zu erreichen. Das Ego vor der Tür zu lassen, dass sich mit anderen vergleicht, das beweisen möchte wie talentiert es ist, oder wie wunderschön als Model. Es geht darum alles das, was sich vordergründig in unserem Außen abspielt - nämlich sich zu vergleichen, sich zu messen und zu formen abzulegen. 

Ja und was dann? Dann bleibt, das Innere. Du selbst. Ich selbst. Und einzig das, was in uns ist. Wir.
Der Moment. Und dann können wir ganz präsent sein mit uns selbst in diesem Moment der Einkehr miteinander, mit uns und mit dem Seil. 


Wir können uns darauf einlassen, mitzubekommen, wie wir lächeln, wenn wir uns ansehen, wie wir Gänsehaut bekommen, wenn das Seil die Haut streift, dass der Arm heute am liebsten in den Nacken gelegt werden mag, oder das Bein gern gestreckt sein möchte. Wir nehmen in uns als Gefesselte wahr, was wir brauchen, in diesem einen Moment. Und wir nehmen als Fesselnde wahr, was unsere Modelle uns senden und was das mit uns macht. Wir sind als Fesselnde im Kopf nicht schon beim nächsten technischen Schritt der erforderlich ist um unseren vorab geschmiedeten Plan umzusetzen, sondern wir sind leer und damit offen und empfänglich dafür die Impulse des Gegenübers aufzunehmen. Wir können uns als Fesselnde in jeder Sekunde fragen, ob und WIE wir darauf eingehen wollen. Können immer wieder fragen: Bin ich gerade Nehmender oder Gebender in dieser Fessel-Situation? 

Durch diese vermeintlich einfache Frage, wird ein wichtiger Rahmen geklärt. Eine Fessel-Session verändert sich in ihrer Dynamik, je nachdem ob der Fesselnde Mensch sich gebend versteht oder nehmend. 

Auch Konsens-Dynamiken sind anders, wenn nicht vorab klar ist, was das gewünschte Ziel sein soll (und eventuell auch dem gefesselten Mensch klar ist, was erwartet wird und ggf. ein Leistungsdruck mitschwingt) sondern beide Menschen wirklich und wahrhaftig in jedem Moment mit sich einkehren können und sich fragen dürfen: Wer bin ich hier, was begegnet mir jetzt und wie möchte ich darauf reagieren? 

Fessle ich dann nur noch Chaos? 

Absichtslos in eine Fessel-Session zu gehen sagt nichts darüber aus, welche Fesselungen am Ende Anwendung finden werden. Es ist sowohl möglich mit nahezu gar keinem festen Pattern zu fesseln, als auch fast ausschließlich mit festen Pattern zu fesseln, aber trotzdem eine innere Haltung der Leere zu verfolgen, die nicht danach drängt in bestimmte Formen vorzupreschen, sondern allem seinen Fluss und Lauf lässt. 

Da es den meisten Menschen, die in einer Leistungsgesellschaft sozialisiert worden sind, eher schwer fällt in einen Geisteszustand innerer Leere und Absichtslosigkeit zu kommen, empfehle ich für das Üben zu Beginn aber das Weglassen von Technik. Denn wenn man Techniken verwendet, wechselt der innere Fokus schnell wieder hin zur Technik und dem Verfolgen der gewohnten Muster und Bilder und löst sich weg aus dem Moment. 

Um ohne (Pattern-)Technik zu fesseln und ergebnisoffen zu sein, muss natürlich Grundwerkzeug beherrscht werden. Jemand der gänzlich ohne Grundkenntnisse beginnt vermeintlich absichtslos zu fesseln tut nichts anderes als fahrlässig zu fesseln. Das Weglassen des Fokussieren auf die Technik kann selbstverständlich erst im fortgeschrittenen Stadium erfolgen. 

Ein Weg von vielen

Dies ist ein Weg von vielen Ansätzen, wie Fesseln gestaltet werden kann. Osada Steve beschreibt diesen Ansatz so ähnlich mit seinem "Muganawa". Muganawa (sehr frei übersetzt `leeres Seil') ist eine der 9 Säulen des Osada Ryu und damit elementarer Bestandteil des Lehrsystem der Schule nach Osada Steve. 
In vielen Fesselschulen / -stilen finden sich Ansätze, die in diese Richtung gehen. Sie alle eint wohl, das Üben einer Grundoffenheit für das Ergebnis. Denn egal nach welcher Fesselschule Mensch fesselt, zwischen Konzeption und Zufall liegt die Kunst. 

Nicht alle Menschen müssen absichtslos fesseln (können oder wollen). Manche Menschen können mit diesem Konzept nichts anfangen und andere können (noch) keinen Zugang dazu finden. 
Das ist in Ordnung, weil es kein besseres oder schlechteres, wahreres oder falscheres Fesseln gibt. 

Mir persönlich liegt dieses Art des Fesseln sehr am Herzen. Denn hier kann ich Ich sein-  ganz einfach echt sein. Allerdings mache ich mich selten so verletzlich wie hier, denn ich gehe als Fesselnde in die Situation und bin nackt, ich bin ohne Plan, ohne Kostümierung der Souveränität die ich mir vorab zusammen geplant habe. Alles was ich bin ist: PRÄSENT. Mit meinem ganzen SEIN. Im Moment. Vollkommen, anwesend. 

Und meiner Erfahrung nach, ist das sehr machtvoll. 

von Fushicho 15 Jan., 2024
Basic Infos für alle Menschen, die mit dem Fesseln beginnen von Seilmaterialien über Verletzungspotentiale und Konsens Kultur.
von Fushicho 27 Juni, 2023
Keines dieses Tools ersetzt eine Beratung / Therapie. Es kann zu Anwendungsfehlern kommen, wenn die Übungen ohne professionelle Anleitung durchgeführt werden. 



https://sexualtherapie-beziehungstherapie.de/uebungen/
BodyScan / Orgastische Welle / Orgasmic Yoga 

https://www.sexmedpedia.com/sensate-focus-uebungen/
https://www.beziehungsdynamik.de/uebungen/sensate-focus/
Sensate Fokus Übung 

https://happylibido.org/sexualtherapie-uebungen/
Sexuelle Erregungskurve, Erregungsreise / Öffnung 

Der Ursprung der Welt von Liv Strömquist   https://www.avant-verlag.de/comics/der-ursprung-der-welt/

Come as you are  https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1058704673

Liebe deine Vulva  https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1053040431

Vulvina Malbuch  https://www.amazon.de/Vulvina-Coloring-Book-Natacha-Colin/dp/3910590004

The Vulva Gallery  https://www.thevulvagallery.com/webshop/vulvacat-variety

Penis Malbuch  https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1046486034

Slut-Shaming, Whorephobia, and the Unfinished Sexual Revolution  https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1059557085

How To Be A Confident Hoe... Because slut shaming Is Over  https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1047465118


Sakral Chakra Meditation zur Unterstützung im Auflösen von Blockaden  https://femininevibe.podigee.io/b31-geleitete-meditation-sexuelle-blockaden-aufloesen


Yoni und Lingam Massage (die Massage der Genitalien)  z.B. in Form von "Handarbeitsabenden" die regelmäßig angeboten werden


Check-In mit deinem Genital  https://spuervertrauen.de/check-in-genital/


Übungen zur bewussten Körperwahrnehmung und zum In-Kontakt-Kommen mit deinem Genital  https://spuervertrauen.de/gratis-uebung-meditation-sexualitaet/


Vaginismus  https://de.wikipedia.org/wiki/Vaginismus


Ganz viele tolle kurze Veröffentlichungen jenseits des binären Geschlechtersystems:  https://www.transfabel.de/index.php?main_page=index&cPath=61_28


von Fushicho 27 Juni, 2023

Zu alt, zu arm, zu queer, nicht queer genug – auch wenn Lesben, Schwule, bisexuelle, trans* oder inter* Menschen unter sich sind, fühlen sich nicht alle gleichermaßen willkommen und respektiert. 

Victoria spricht in diesem Podcast über ihre Erfahrungen innerhalb der queren Community, über schwarz sein und Tokenism, über Pansexualität und Sexualisiert werden, über Polyamorie und Slut-Shaming. 

Über White Passing und darüber, dass Schwarz keine Farbe ist. 

Vor allem aber darüber, dass ALLE Menschen lernen sollten einander zuzuhören, in einen echten Dialog miteinander zu gehen, voneinander zu lernen, übereinander zu lernen und niemand jemals "perfekt anti-diskriminierend" sein wird. 


von Fushicho 07 Feb., 2023
Mit anderen Frauen Sex haben ist völlig okay, aber mit einem anderen Penis nicht? Warum das ziemlich unlogisch ist erklären wir dir hier im Beitrag zur One Penis Policy.
von Fushicho 07 Feb., 2023
Was macht Sexualität aus und was macht Intimität aus? Oftmals wird in einer Beziehung vorausgesetzt, das klar ist wie der gemeinsame Sex oder die gemeinsame Intimität aussehen. Meistens lohnt es sich darüber zu sprechen!
von Fushicho 07 Feb., 2023
Eifersucht in offener oder polyamorer Beziehung ist ganz normal. Sie ist ein Gefühl wie jedes andere auch und möchte dir etwas über deine Ängste und Bedürfnisse mitteilen.
von Fushicho / Sexualberatung 27 Jan., 2022
Theoretisch haben wir alle in der Schule gelernt, dass es sexuell übertragbare Krankheiten gibt, welche das sind und wie man sich schützen kann. 

Ja. Theoretisch. Mehrheitlich waren diese Unterrichts-Situationen doch eher unangenehm, man war froh, wenn das Thema durch war und dachte sich: 

1.) Wird mir schon nicht passieren ich bin ja informiert 
2.) Wenn ich darauf achte Kondome zu nutzen, geht es schon gut 
3.) Das betrifft ja nur Leute, die rumhuren


Zu 1.:
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat 2016 die " Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen “ vorgestellt. Im Rahmen dieser Strategie wurde eine  Umfrage zu Gesundheit und Sexualität in Deutschland (GeSiD)  unter knapp 5.000 Teilnehmern zwischen 18 und 75 Jahren durchgeführt. Ein Teil dieser Studie beschäftigt sich mit der Bekanntheit verschiedener sexuell übertragbaren Infektionen. 

HIV/AIDS war mit Abstand die bekannteste STI (71 Prozent). Danach folgt mit knapp 40 Prozent Gonorrhö (auch Tripper genannt) und mit gut 30 Prozent Syphilis. Etwa jedem zehnten Deutschen sind Chlamydien, Genitalherpes und Hepatitis B als Geschlechtskrankheiten geläufig. Seltener wurden Genitalwarzen, Filzläuse und Trichomonaden genannt. 

Vergleichen wir diese Ergebnisse mit den häufigsten Geschlechtskrankheiten Deutschlands: 
Chlamydien 
Trichomonas vaginalis 
Gonokokken /Gonorrhö (Tripper)

Sowohl Chalmydien, als auch die Trichomonaden sind nur mindestens jedem zehnten Deutschen geläufig.
Das ist ein Missverhältnis zwischen Häufigkeit und Bekanntheit. 


Zu 2.:

Kondome schützen sicherlich vor vielen sexuell übertragbaren Krankheiten. Allerdings können die Erreger auch über den Mund und die Hände übertragen werden, wenn diese Kontakt mit Genitalien haben.  
Der Blowjob gehört zu den zweit-beliebtesten Sexualpraktiken, wird aber nur in sehr seltenen Fällen mit einem Kondom praktiziert. 
Dass es für Oralsex an der Frau auch "Kondome" gibt, sogenannte Lecktücher (alternativ funktionieren auch aufgeschnittene Gummihandschuhe/ Frischhaltefolie) ist nur wenigen bekannt. 
Sich alleinig auf das Verwenden von Kondomen bei penetrativem Sex zu verlassen ist also keine gute Idee. 

Zu 3.: 
Das ist eine extrem Vorurteils-Behaftete Vorstellung. Geschlechtskrankheiten haben nichts damit zu tun "rumzuhuren" und dieser Begriff assoziiert, dass Huren (SexarbeiterINNEN, Prostituierte) grundsätzlich "schmutzig" und mit einem Risiko sich zu infizieren versehen wären. Das ist ein Stigma. Und es entspricht keiner Realität. 
Jeder Mensch, der Sex hat, kann sich auch mit einer sexuell übertragbaren Krankheit infizieren. Punkt. That's it. 
Genauso, wie jeder Mensch eine Magen-Darm-Grippe, oder eine Erkältung bekommen kann. Viren/Bakterien machen uns krank. Und in der Regel ist das ganze behandelbar. Wir sollten also dringend normalisieren, dass sexuell übertragbare Krankheiten weder selten, noch schmutzig, noch Zeichen von "Rumhurerei" sind. 
von Fushicho / Paarberatung 23 Jan., 2022
Ein häufiges Thema in meinen Beratungen ist, dass Paare berichten die verschiedenen Ebenen, die sie miteinander teilen, also zum Beispiel Eltern sein, Liebende sein, Sexualpartner sein nicht zufriedenstellend leben können.  

Oft dominiert vor allem eine funktionale Ebene und andere sinnlichere Ebenen geraten in den Hintergrund, es entsteht ein Mangelgefühl und eventuell auch Frustration. Letztere vor allem dann häufig, wenn die sexuelle Ebene nicht mehr so präsent ist.  

Besonders eine BDSM-Ebene geht im Beziehungsalltag schnell unter. Irgendwie erscheint nie der richtige Zeitpunkt oder Kontext, um jetzt in die Rollen des Dominanten/ Submissiven zu schlüpfen. Hier empfehle ich Paaren oft, Rituale zu schaffen, die ihnen ermöglichen ihr individuelles Machtverhältnis zu spüren und erleben. Sei es das Anlegen eines Schmuckstückes, das Anleinen zur Nacht, die Servier-Reihenfolge beim Abendessen, ein Kaffee der gebracht wird, ein Knien Abends vor dem zu Bett gehen, und viel mehr was möglich wäre. Solche Rituale lassen sich i.d.R. in den Alltag einbauen und schaffen so Raum sich auch Abseits einer funktionalen Rolle zu erfahren.  

Hilfreich kann außerdem sein, zunächst einmal im Rahmen der Beratung auseinander zu dividieren, welche unterschiedlichen Rollen jeder jeweils überhaupt inne hat, was diese Rollen ausmacht und - im nächsten Schritt aber auch: Wie malt sich der Rolleninhaber diese Rolle aus, welche Rollenerwartungen werden aber auch an ihn gestellt. 

Dieser Abgleich von eigener Rollenvorstellung und den Rollenerwartungen des Partners führt meistens zu einem besseren Verständnis zwischen den Paaren und einer Erkenntnis, woher Konflikt-, und Streit-Dynamiken rühren. Im Anschluss daran lassen sich sowohl Wünsche und Bedürfnisse der Partner, als auch passende Situationen für die jeweiligen Rollen formulieren.
von Fushicho 19 Okt., 2021
Seit über 10 Jahren bin ich in der Welt des BDSM aktiv und habe die unterschiedlichsten Facetten dieser schillernden Welt bewundert, bestaunt, betrachtet und für mich entschieden, was ich davon toll oder persönlich nicht so toll finde. 

Und seit ein paar Jahren nutze ich dieses Wissen auch in meiner Arbeit, sei es als Fessel-Lehrerin oder als Sexual Coach. Ich finde es  persönlich sehr wichtig, als Coach in diesem Bereich nicht nur theoretisches Wissen zu haben, sondern auch Selbsterfahrung. 

Und wenn ich eine Sache sicher weiß, dann dass man nie auslernt, denn Sexualität verändert sich - im Lauf des Lebens, des Alterns, abhängig von Partnern und Lebensumständen. 

Als ich mich entschied mit meinem Partner am Workshop "Feuer" von Kristina Marlen teilzunehmen, wusste ich nur zwei Dinge: 
1.) Kristina Marlen ist eine von mir vielfach bewunderte Frau und allein deshalb wird sich lohnen von ihr zu lernen 
2.) Es würde mein erstes Mal in der Rolle der Teilnehmerin werden und ich war ziemlich nervös 

Und dann gab es auch noch eine dritte Ebene, die aber vor allem eine rein hypothetische Meta-Ebene war, nämlich die, wie mein Partner und ich wohl in der Semi-Öffentlichkeit funktionieren würden. Immerhin ist es ein ziemlich großer Unterschied, privat zu Hause in die Welt des BDSM einzutauchen, oder vor anderen - bis dato fremden - Menschen miteinander in ein intensives Spiel zu gehen. Oder sogar mit anderen? Und was wäre, wenn ich meinen Partner, den ich bisher als sehr souverän und authentisch empfand plötzlich als unsicher erlebe? Klar, das ist menschlich, aber würden wir auch damit umgehen können innerhalb unseres D/s Verhältnis und während wir gerade in einer komplett neuen Situation sind, die uns potentiell beide verunsichert? Und ist es eigentlich sinnvoll in einer so frischen Beziehung an einem Workshop teilzunehmen? 

Ich habe beschlossen, all diese Überlegungen für einen Ausflug in den Wald zu schicken und stattdessen einfach offen und frei für jede Erfahrung zu sein die zu mir kommt, denn wenn sie eines immer sicher tun, dann dich selbst weiterbringen. Gerade in der Wahrnehmung der inneren Widerstände, Grenzen und dem Gefühl des Unbehagen liegt sehr viel Kraft zu wachsen, sich selbst besser zu erkennen und sich zu entwickeln. 

Und so betrat ich Samstag Morgen den Raum und wurde direkt in eine Situation geworfen, die mich vor wenigen Jahren noch in Bedrängnis gebracht hätte. Tanzen am Morgen - einfach so - mit völlig Fremden - Jetzt - auf Knopfdruck. Und alle machten das auch ganz frei und fröhlich, während ich innerlich dachte "Bitte nicht, ich möchte mich setzen, meinen Tee trinken und in meiner Beobachter-Rolle fühle ich mich eigentlich sehr wohl". 

Ich bin nicht zum mitmachen gezwungen worden, aber die Selbstverständlichkeit und Fröhlichkeit aller Tanzenden hat mich einfach mitgerissen. Aus Tanzen wurde auf dem Boden kriechen, sich fangen, übereinander kriechen, nebeneinander, ein ganzer Haufen kriechender Menschen. Fremder Menschen! ABER ich war auch plötzlich ganz körperlich präsent. Hatte gar nicht mehr das Bedürfnis nach einer Beobachter-Rolle, sondern wurde souverän damit körperlich präsent zu sein, mich körperlich zu zeigen, auszudrücken, ganz ohne Kopf und das war eine ziemlich gute Erfahrung die mich denken ließ "Wow, das ist klug, direkt zu Beginn des Workshops mit allen Unsicherheiten brechen und die Teilnehmer mitreißen in die Körperlichkeit und die Aktivität zu gehen, damit das keine lahme Gruppe wird wo jeder erstmal nur guckt aber nichts macht". 

Ich muss an dieser Stelle aber auch ergänzen, dass es sich allein deshalb lohnen könnte, das Tanzen mitzumachen, weil Kristina Marlen ganz sicher die Königin des Körper-Ausdrucks ist und ich bereits vor JAHREN, als ich sie das erste Mal auf einer EURIX (European Rigger Exchange - Festival in Berlin) wahrnahm beeindruckt und ein bisschen angeturnt war, wie gut sie sich bewegt und wie sehr ihr Körper spricht, ganze große Geschichten werden da erzählt. 

Im weiteres Tagesverlauf beschäftigten wir uns mit Grenzen, vor allem damit, dass Grenzen nicht nur etwas mit Nein-Sagen zu tun haben, sondern vor allem auch mit Ja-Sagen! Es reicht nicht aus, bloß zu wissen was man alles nicht will, es ist ebenso wichtig enthusiastisch sagen zu können, was man ganz unbedingt will. Diese Übung habe ich am meisten gemocht, denn es ist ein allgemeines Problem, dass nicht nur Stellenwert in der Sexualität hat, dass Menschen sehr oft nicht wissen, was sie wirklich wollen, was ihre Herzen begehren, wozu sie im Leben AKTIV Ja sagen wollen. 
Die Übung war wichtig, um Grenzbewusstsein und Achtsamkeit im Umgang damit bei allen Teilnehmern nochmal zu schärfen, gleichwohl die Gruppe von Beginn an sehr achtsam auftrat. 

In einer anderen Übung lernten wir unsere Hände als vielfältige Schlaginstrumente kennen und da war ich persönlich überrascht auf wie viele Arten ich Schlagwerkzeuge mit meinen Händen imitieren kann. 

Der Tag endete mit einem - bewusst sportlich gehaltenen - Zirkeltraining, mehreren Stationen mit thematisch sortierten BDSM-Elementen (Flogging / Caning / Wachs / Fixierung) die man zu zweit ausprobieren konnte, um für sich rauszufinden, was einem Lust bereitet und was nicht. Für diese Übung wurde sehr viel Zeit eingeräumt, was ich sehr angenehm fand. 
Wo mein Partner und Ich am Vormittag die Chance genutzt hatten uns auch mit anderen Menschen auszuprobieren (denn wir waren das einzige Paar, dass mit bestehender D/s Konstellation in den Workshop kam) und diese Chance auch sehr genossen haben, denn man lernt mehr, wenn man aus Mustern ausbricht und neue Dinge mit unbekannten Menschen vorsichtig und langsam ausprobiert, haben wir das Zirkeltraining gemeinsam gemacht. Denn es sollte uns in unserer Beziehung Aufschluss darüber geben, was wir miteinander intensiver ausprobieren wollen. UND ich persönlich hätte mir gar nicht vorstellen können in eine - teilweise mit Schmerz verbundene - Intensität mit anderen Menschen zu gehen, in mir wäre es nur zu Abwehrreaktion gekommen, was einerseits daran liegt, dass ich nicht masochistisch bin (der Schmerz selber löst in mir keine Lust aus - nie / einzig und allein dass ich das FÜR jemanden aushalten möchte/muss, dass jemand mich dazu zwingt, usw. bereiten mir Lust) und andererseits daran, dass ich - wie ganz viele Menschen - auch traumatische Anteile in mir habe, die es mir schwer machen, in eine solche körperliche Intensität mit Fremden zu gehen. 
Das war aber völlig unproblematisch, dass wir dort dann als Paar interagiert haben und für uns super aufschlussreich im Labor-Modus zig Spielzeuge auszuprobieren und zu bewerten. 

Kristina Marlen und ihr* Partner* waren die ganze Zeit über präsent, in ruhiger, zulassender, Raum gebender Art und Weise. Jederzeit ansprechbar, aber nie aufdrängend.
In den Demonstrationen - die wirklich schwierig für Workshopleiter sind, denn ad hoc mit seinem Partner in eine intime Situation switchen und währenddessen einem Kurs auch noch etwas erklären, ohne die Aufsichts-, und Fürsorgepflicht gegenüber dem Partner zu vernachlässigen ist schwer - waren beide so wunderbar echt, nahbar, witzig und das tat gut, denn BDSM muss wirklich nicht so ernst sein, es ist auch nur eine Facette der Sexualität, bei der man lachen und Spaß haben darf. 

Die Stimmung im Raum war leicht, annehmend, frei, sexpositiv, neugierig, geschwängert von "Ah's" und "Oh's" und fiependen und stöhnenden Lauten. Ein ganz wunderbarer Raum! 

Mein Abend setzte sich intensiv fort, denn der Tag war so anregend, dass mein Partner und Ich zwar müde und körperlich erschöpft waren, aber dennoch nicht davon abgehalten werden konnten, noch eine sehr intensive Session miteinander zu teilen. 

Tag zwei begann erneut mit Tanzen und aufwärmen (ich hatte mich nun schon damit angefreundet, ein schneller Prozess :-) ) um sich dann den Techniken des Floggings zu widmen. In unterschiedliche Teil-Übungen aufgedröselt bekam jeder Teilnehmer die Möglichkeit sich an beiden Enden des Floggers zu erleben. 

Ein theoretischer Vortrag zu Pain-Processing und sich daran anschließende Mikro-Übungen zur körperlichen Erfahrung vervollständigten die Toolbox um dann nach der Mittagspause gerüstet zu sein, für eine "richtige" Session. Alle Workshop-Teilnehmer zogen sich sexy Klamotten an (wobei ich kritisch anmerken müsste, dass die Männer da sehr viel Luft nach oben hatten, diese blieben nämlich mehrheitlich im Sport-Outfit *zwinker*) und richteten sich Session-Plätze ein mit ihren Wunsch-Tools, die sie verstärkt ausprobieren und einsetzen wollten. Der dominante Part, war jetzt in völliger Service-Rolle, es sollte nicht darum gehen, dass der dominante Part seine Fantasien durchsetzt, sondern den empfangenen Part damit beschenkt, dessen Fantasien zu bedienen. 
Der Raum füllte sich wieder mit Wärme, Stöhnen, den Geräuschen der Peitschen und Paddle und ich selber driftete mit meinem Partner in eine sehr tiefe, sehr ergreifende Session, in der wir vor allem lernten, dass wir auch komplizierte Flugmanöver, kurzentschlossenes Umlenken bei Gefahr des Flugzeugabsturzes, Steilstart und Segelfliegen beherrschen. Ich belasse es an dieser Stelle metaphorisch, aber es war eine gute Erfahrung zu spüren: Wir vertrauen einander so sehr, dass wir hier ganz öffentlich miteinander in eine Edgeplay-Session gehen, wir können Unsicherheiten gemeinsam aushalten, wir können beide auch innerhalb einer Session für uns selber einstehen und uns mitteilen (das war für mich neu, dass ich auch völlig weg gespacet kurz auftauchen und mich klar artikulieren kann, was ich brauche oder wo mein Problem liegt, um dann wieder abzutauchen) und wir wollen das vor allem beide ganz aus unseren Herzen heraus, ganz aus uns selbst heraus motiviert. 

Ich bin - beyond words - dankbar für diese tolle Erfahrung. Kristina Marlen wird jetzt auf noch viel mehr Arten und Weisen von mir bewundert, gleichzeitig habe ich aber auch auf Augenhöhe sehen können, wie ähnlich unsere Ziele und Visionen oft sind, war dankbar als halbe Kollegin trotzdem ganz privat in diesem Kurs sein zu dürfen (und nein, das ist leider nicht selbstverständlich, dass es unter Kollegen ohne Umstände möglich ist in deren Didaktiken und Ansätze reinzuhören/ reinzuprobieren). 

Ich habe - und das war mir aber vorher aufgrund meiner eigenen Expertise klar - persönlich nichts Neues über BDSM Tools und Plays gelernt (sehr wohl aber Einzelheiten, wie den Einsatz der Hände als Schlagwerkzeug), aber ich habe sehr viel Neues über mich, meine Wünsche im Play mit meinem jetzigen Partner, meine Möglichkeiten und Grenzen gelernt und vor allem habe ich gelernt, dass ich im Verlauf der letzten Jahre sehr bei mir selbst und meiner Sexualität angekommen bin und sehr gut für mich einstehen und sorgen kann. Eine wertvolle Spiegelung die ich mitnehmen darf. 

Obwohl ich also nicht die primäre Zielgruppe dieses Workshops war, war er sehr bereichernd für mich. 


DANKE! An Kristina Marlen, Partner*, ihr Team, die Workshop-Teilnehmer, meinen Partner und auch an mich selbst. 


Mehr zu Kristina Marlen:  https://www.marlen.me  (Das Bild stammt auch von ihrer Homepage) 
von Fushicho 09 Okt., 2021

In einem Netzwerk aus polyamoren Beziehungen (sog. Polykül) können ganz unterschiedliche Beziehungsarten, Bindungsstile und Lebensarten vorhanden sein. 

Olaf und Uta können beispielsweise eine romantische asexuelle Beziehung führen, wo sie sich alle 14 Tage am Wochenende treffen und unter der Woche eher weniger Kontakt miteinander haben, wohingegen Uta und Nina sich jeden zweiten Tag inklusive Übernachtung sehen, eine romantische sexuelle Beziehung miteinander führen aber gemeinsam sesshaft werden ausschließen. Olaf und Susi aber denken gerade darüber nach ein Haus zu kaufen und gemeinsam Kinder zu bekommen. Wobei Susi möchte, dass ihr platonischer Partner Dirk auch ins Haus miteinzieht. Nach vielen Jahren Beziehung mit Dirk, haben sie beschlossen keine romantische Beziehungsebene mehr miteinander zu teilen, aber Seelenverwandtschaft und ein super eingespieltes funktionales Team darstellen mit riesiger Vertrauensbasis. 

Wichtig ist, sich innerhalb der polyamoren Lebensweise von gesellschaftlich konditionierten Vorstellungen genauso zu lösen, wie von Vergleichsdenken zwischen Partnern. Eine ankondiitionierte Vorstellung lautet, dass Partner im klassischen Beziehungssinn nur solche Menschen sind, mit denen Liebesgefühle und Sexualität geteilt werden. Das ist natürlich großer Quatsch, aber wir können nicht einfach ablegen was uns tagtäglich vorgelebt wird, wir können nur immer wieder ganz bewusst zu uns selber sagen „Stopp, ich nehme mir jetzt 5 Minuten Ruhe und denke darüber nach was ICH möchte und was sich für MICH richtig anfühlt und höre auf zu denken, was wie sein SOLLTE“.

Da es in polyamoren Beziehungen oft ein größeres Sicherheitsbedürfnis gibt, da nichts automatisch vorgegeben ist, sondern alles zwischen den Akteuren verhandeln und ausgehandelt werden muss, kann es gut passieren, dass Partner 1 seine Beziehung mit der Beziehung von Partner 2 zur selben Person vergleicht und versucht den eigenen Wert als Mensch und den der Beziehung davon abzuleiten, wie viel Zeit miteinander verbracht wird, welche Art von Zeit oder ob sich gesagt wird dass man sich liebt usw.  

Diese Vergleiche bringen nichts, denn jede Beziehung ist einzigartig, hat ihren eigenen Wert und erfüllt ihre eigenen Funktionen.  

Deine einzige Aufgabe als Teil eines Polyküls ist es für dich herauszufinden, was du von der Beziehung brauchst, erwartest und was du hinein geben kannst und das mit den betreffenden Partnern zu besprechen und ggf. auch zu diskutieren. Du bist ein aktiver Akteur!

Beziehungen verlaufen zudem nicht linear, aus Liebesbeziehungen können platonische Beziehungen werden und umgekehrt. Nähe, Zeitumfang, sexuelle Aktivität und Gefühlsreichtum sind veränderbar über den Lauf der Zeit und sind kein Indikator für den Wert oder die Stabilität einer Beziehung.  

Show More
Share by: