„Not wanting to be choked doesn’t mean you’re boring“
Der Fokus, was in der sexuellen Orientierung als normal/abnormal ist verändert sich auf beunruhigende Art und Weise vom „kink-shaming“ hin zum „vanilla-Shaming“.
Viele Jahre sahen Menschen, die es als Lustgewinn empfinden, sich würgen, schlagen, anspucken oder erniedrigen zu lassen sich skeptischen, herablassenden Reaktionen ausgesetzt und galten als Freaks, abnormal und gestört. Die Grenze zwischen sexueller Offenheit und pathologischem Sexualverhalten verschwamm im allgemeingesellschaftlichen Diskurs und Menschen, die solche Vorlieben offen kund taten oder auslebten sahen sich zügig mit dem Vorwurf der krankhaften Sexualität konfrontiert. Dieses Herabwürdigen sexueller Vorlieben wird als Kink-Shaming bezeichnet.
Mittlerweile kehrt sich dieses Narrativ ins genaue Gegenteil um. Menschen, die heute sagen, sie seien Vanilla werden als abnormal tituliert. Mit Vanilla gemeint ist eine Sexualität ohne Elemente aus dem Bereich BDSM, oder ohne Fetische, also das was allgemein als Norm galt. Vanilla wird mittlerweile mit derselben beleidigenden Konnotation wie „frigide“ oder „Prüde“ verwendet. Heute erleben Menschen also Vanilla-Shaming.
Streift man - ohne repräsentative Absichten - durch beliebige Online-Dating-Apps fällt auf, dass der Beisatz „kinky“ oder „Life is too short to pretend you are not into some kink“ überraschend häufig auf Profilen anzutreffen ist. Jedes 5.Profil weist im Durchschnitt generalisiert dargestellt darauf hin, kinky Ambitionen zu haben. Es wirkt beinahe so hip, wie #openmind #vanlife #coffeeaddict. Als wäre eine sexuelle Orientierung, die kinky ist (Fetische / BDSM Elemente einfließen lässt) ein neuer Lifestyle Trend.
In einer aktuellen britischen Studie haben 38% der Frauen zwischen 18-39 Jahren schon erlebt, dass sie ohne ihre Zustimmung angespuckt, gewürgt oder geohrfeigt wurden.
Das ist gefährlich und lässt auf eine Verharmlosung solcher Praktiken im Diskurs der sexuellen Aufklärung schließen. Wenn wir davon ausgehen, dass Menschen ohne Vorsatz in bester Absicht handelten, haben sie also einfach vorausgesetzt, dass diese Frauen mit Sicherheit gut finden würden, so behandelt zu werden. Doch woran liegt das?
Junge Menschen erfahren in ihrer Sozialisierung durch Schule, Eltern und Freunde immer noch den selben Sexualkundeunterricht wie auch schon vor 10 Jahren, der lediglich das Ziel hat jungen Heranwachsenden zu erklären, wie Fortpflanzung, Verhütung und sexuelle Krankheiten funktionieren/ wie man sich schützen kann.
Eine ausführliche Diskussion über Pornografie, sexuelle Vielfalt, sexuelle Orientierung und vor allem (!) darüber, wie man seine sexuellen Wünsche kommunizieren kann und was Konsens ist findet nur in Einzelfällen besonders engagierter Schulen oder Elternhäuser statt.
Die gesamte sexuelle Aufklärung ist also rein funktional, bildet die Realität in der sich Jugendliche befinden jedoch nicht ab. Junge Menschen wachsen in einer hypersexualisierten Welt auf, in der der Zugriff auf pornografische Inhalte extrem leicht geworden ist und sexuelle Motive in Werbung, Sex-Accounts in sozialen Netzwerken wie Instagram und TikTok Normalität sind.
88% der am meisten angesehenen Pornoszenen enthalten physische Gewalt und Aggressionen der männlichen Protagonisten gegenüber den weiblichen. Die sexuelle Norm, die also in der Welt der Pornografie abgebildet wird ist, dass aggressives und übergriffiges Verhalten gegenüber Frauen normal ist. (Dr. Gail Dines, Präsident „Culture Reframed“ - einer Organisation, die die Effekte hypersexualisierter Medien auf Jugendliche untersucht)
Aber es ist viel zu kurz gegriffen, Pornografie nun dafür verantwortlich zu machen, dass Jugendliche mit dem Bild aufwachsen, gewaltsamer Sex sei die Norm. Die Schokolade als solche ist auch nicht Schuld daran, dass jeder dritte Mensch übergewichtig ist.
Hier besteht keine einseitige Kausalbezeihung, sondern ein multifaktorielles Problem, dessen Kernproblem vor allem in der mangelnden Bildung zum Umgang mit Pornografie liegt.
Es ist wichtig und zeitgemäß mit Jugendlichen in der Schule und im Elternhaus detailliert zu besprechen, was Pornografie abbildet und wie Pornografie funktioniert. Auf Basis dessen zu vermitteln, dass die dort gezeigten Samenergüsse nicht zwangsläufig echt sind, das Durchhaltevermögen der männlichen Darsteller einer Errektion zu halten medikamentös beeinflusst wird, Squirting sehr häufig aktives urinieren ist (nachdem mehrere Liter Wasser getrunken wurden).
Nur sehr wenig Pornografie zeigt auch die Gespräche mit/zwischen DarstellerINNEn in denen Konsens verhandelt wird. Hier möchte ich z.B. den Anbieter kink.com hervorheben, der als größter Produzent von Hardcore Fetisch und BDSM Pornos im Anschluss an die Filme stets erneut die DarstellerINNEn einblendet und der Zuschauer hört und sieht, dass sie sich wohlfühlen und es ihnen Spaß gemacht hat. Das reicht aber nicht. Es geht nicht darum, lediglich zu legitimieren, dass die Art und Weise des gezeigten Sex für die DarstellerINNEn spaßig war, es muss zwingend auch gezeigt werden, wie miteinander ausgehandelt wird welche Praktik auf welche Art und Weise okay ist und offen kommuniziert werden, dass PornodarstellerINNEN Profis in ihrer Profession sind (mit jahrelangem Training und einer Berufsroutine) und natürlich nicht jeder andere Mensch auf die selbe Art Sex praktizieren können muss.
Es gibt mittlerweile viele Bestrebungen zu vermitteln, dass die social media Realität keine Realität ist, um die häufig daraus resultierenden Probleme wie Essstörungen, Depressionen und Minderwertigkeitsgefühle vorzubeugen.
Das selbe Bestreben müssen wir auch im Bereich der Pornografie an den Tag legen. Sexualität ist ein Grundbedürfnis der Menschen und DAS zentrale Entwicklungs-, und Erprobungsfeld der Jugendlichen während der Pubertät. Ein Hauptbestreben vieler junger Menschen im Bilden ihrer sexuellen Identität ist, das Label "gut im Bett" und "Sexuelle attraktiv" zu erfüllen. Ihre Sexualität wird maßgeblich von den Darstellungen der Pornografie geprägt. Und es ist nicht die Pornografie, die sich verändern muss (auch - aber das ist ein anderer Diskurs), sondern es ist der gesellschaftliche Umgang mit Pornografie und die offene Diskussion der dort dargestellten Realität, die sich ändern müssen.
Nur durch einen offenen, transparenten und radikal ehrlichen Diskurs über Sexualität, Pornografie und sexuelle Realität können wir Menschen ermöglichen, sich über Kinks und Fetische zu informieren um überhaupt zu wissen, was sie da ausprobieren wollen und informiert einzuwilligen (informell consent), nehmen wir den Wettbewerbs-, und Leistungsgedanken aus dem Thema, indem Männer nicht mehr glauben aggressiv mit stundenlanger Errektion eine Frau überrumpeln zu müssen und Frauen nicht mehr glauben nur dann als begehrenswert angesehen zu werden, wenn sie „openminded“ sind und mitmachen. Und erst dann ermöglichen wir Menschen einen tatsächlich genuss-, und lustvollen Umgang mit ihrer Sexualität, wenn sie nämlich den Druck ablegen einer bestimmten Rolle entsprechend agieren zu müssen, um sexuell attraktiv zu sein.
Wir können Menschen nur dann beibringen, ihre sexuellen Bedürfnisse und Grenzen kennen und kommunizieren zu lernen, wenn wir Sex Education - sexuelle Bildung endlich enttabuisiert, modern und inhaltlich an die Realität angepasst auf den Lehrplan nach oben setzen.
VERWEISE:
The research, conducted by BBC Radio 5 Live and ComRes asked 2,002 women from across the UK, between the ages of 18 and 39, if they had ever experienced the acts during sex and if they had wanted their male partner to do so.
More than a third (38 per cent) had experienced these acts and said they were unwanted at least some of the time.
Daraus resultierend formierte sich "We can't consent to this" https://wecantconsenttothis.uk as a response to the increasing use of “rough sex” defences to the killing or violent injury of women and girls. There are at least 60 UK women killed and many more injured.
https://www.culturereframed.org An organization that claims itself as "We help parents and other adults build kids’ resilience to hypersexualized media and porn"
Nicht seriöser Journalismus (weil über Subkulturen idR nur von Submedien berichtet wird), der aber zeitgemäß auf das Problem innerhalb hipper Apps wie TikTok aufmerksam macht: https://i-d.vice.com/en_uk/article/88aey4/tiktok-vanilla-shaming-rough-sex-kinkshaming