Ab heute leb' ich polyamor!
Die Liebe ist etwas Wunderbares. Wieso sollten wir sie also nicht mit mehreren Menschen teilen, wenn uns danach ist und alle beteiligten Personen einverstanden sind?
So einfach, wie die Überschrift vermuten lässt, ist es in der Regel nicht, sich aus den antrainierten Beziehungsvorstellungen der Monogamie zu lösen und polyamor zu leben. Jeder Schritt aus einer Norm heraus ist schwierig, denn es gibt natürlich viel weniger Vorbilder zur Orientierung, als wenn man einem gesellschaftlich anerkannten Normen-Konzept folgt. In der Regel wird man auch nicht polyamor geboren, wir sind in unserer europäischen Region alle mit den Wertvorstellungen einer exklusiven Paarbeziehung bestehend aus zwei Menschen - in der Regel Mann und Frau - aufgewachsen.
Das heißt, Polyamorie ist eine bewusste Entscheidung.
Und was heißt eigentlich Polyamorie?
Der Begriff setzt sich aus dem griechischen Wort polýs – das für „viel, mehrere“ steht – und dem lateinischen Wort amor, also „Liebe“, zusammen. Eine klare Definition gibt es allerdings nicht, denn Polyamorie kann unterschiedliche Formen und Ausprägungen haben.
Warum Menschen sich entscheiden, polyamor zu leben, kann unterschiedlichste Gründe haben. Häufig geht mit der Entscheidung einher, dass diese Menschen sagen:
- Liebe bedeutet nicht Besitz; ich kann einen Partner, den ich liebe, nicht besitzen, der Partner soll frei sein in seinen Entscheidungen, mit wem er auf welche Art Zeit verbringen möchte.
- Liebe wird nicht durch sexuelle Exklusivität garantiert.
- Viele Beziehungen scheitern daran, dass ein Partner fremd geht; durch eine gemeinsame transparente Öffnung der Beziehung für andere Partner kann dies verhindert werden.
Es gibt viele weitere individuelle Gründe, die Entscheidung zu treffen, das Konzept Monogamie für sich nicht mehr als Liebeskonzept verfolgen zu können oder wollen, die oben genannten sind jedoch die häufigsten und sozusagen universellsten Gründe.
Wichtig ist, sich über Folgendes klar zu sein:
- Die Entscheidung eine Beziehung zu öffnen, sei es für Polyamorie oder eine offene Beziehung, sollte nicht aus defizitären Gründen geschehen. Das heißt: Konflikte, Defizite oder Probleme, die es auf der bestehenden Paar-Ebene gibt, werden nicht dadurch gelöst, dass man sich das, was einem fehlt, woanders holt. Entscheiden sich Paare gemeinsam dazu ihre Beziehung zu öffnen, ist die wichtigste Voraussetzung eine stabile Paarbeziehung zu haben.
- Polyamorie und offene Beziehung sind zwei verschiedene Paar Schuhe. In der polyamoren Lebensweise werden mehrere Beziehungen mit emotionaler Bindung und grundsätzlich verbindlicher Ausrichtung angestrebt, die parallel existieren. In einer offenen Beziehung haben beide Partner die Möglichkeit, sexuelle Kontakte außerhalb der Beziehung zu leben, diese sind aber eher freundschaftlicher Natur und ohne emotionalen Tiefgang. Natürlich gibt es auch hier nicht Schwarz und Weiß, sondern zig Graustufen, in denen Menschen individuelle Lösungen finden, Konzepte zu leben.
- Sich für ein polyamores Liebeskonzept zu entscheiden bedeutet nicht, dass man bindungsunfähig ist oder eine Schlampe. Beides sind Vorurteile und Beleidigungen, die unreflektierte Menschen, denen es schwer fällt, sich Polyamorie vorzustellen, häufig äußern.
- Es gibt nicht DIE eine Form der Polyamorie. Das kann es gerade zu Beginn mitunter kompliziert machen, denn es gibt keinen Ratgeber "Polyamorie für Dummies" oder "How to be Poly", in dem in einer 10-Punkte-Anleitung erlernt werden könnte, wie ein polyamorer Lebensstil funktionieren kann.
Welche Beziehungsform passt zu mir?

Fragen zur Selbstreflexion
Bevor du dich entscheidest polyamor zu leben, solltest du dir einige Fragen stellen.
Diese kannst du für dich selbst durchdenken, aber auch nutzen, um mit einem Partner ins Gespräch zu kommen.
Diese Fragen lassen sich nicht universell beantworten, erfahrungsgemäß verändert sich die Art und Weise, wie man polyamor lebt, auch mit der Zeit und mit den Partnern, da unterschiedliche Menschen unterschiedliche Bedürfnisse mitbringen, die integriert werden wollen.
Manche Fragen werden sich beim ersten Lesen sehr komplex und schwer anfühlen. Das ist gewollt, denn wenn du alle Fragen einfach mit 'Ja' und 'Nein' beantworten könntest, würden wenig intensive Denkprozesse aktiviert werden und die Reflexionsleistung der Fragen wäre recht niedrig.
Fragen zur persönlichen Reflexion:
- Wie leicht oder schwer fällt es mir generell über meine Gefühle zu sprechen?
- Nehme ich schnell wahr, ob mir etwas gut tut oder mich unwohl fühlen lässt? Wie gut kann ich dieses Gefühl verbalisieren?
- Fällt es mir leicht Menschen zu vertrauen? Was brauche ich, um vertrauen zu können?
- Bin ich ein Mensch, der schnell eifersüchtig ist? Wenn ja, was macht mich eifersüchtig? Wenn ja, was ist meine Idee, warum mich das eifersüchtig macht?
- Was brauche ich, um mich geliebt zu fühlen? Verbale Bestätigung? Berührung? Fest abgesprochene Zeiten der Zweisamkeit? (Rituale der Affirmation (Affirmation bedeutet Bejahung, Versicherung)? - Was brauche ich, um mich rückversichert zu fühlen, dass alles in Ordnung ist?)
- Welchen Beitrag soll mein Partner dazu leisten, dass ich mich gut fühle, und welchen leiste ich selbst?
- Welchen Beitrag möchte ich leisten, damit ein Partner sich gut fühlt?
- Wie denke ich über Verantwortlichkeit in Bezug auf die eigene Gefühlswelt, empfinde ich mich selbst verantwortlich für das, was ich fühle, wie ich es kommuniziere und wie ich damit umgehe oder sehe ich andere Menschen verantwortlich dafür, wie ich mich fühle?
- Kann ich mir vorstellen, mit meinem Partner über intime Erlebnisse aus anderen Beziehungen zu sprechen?
- Wie möchte ich mit meinem Partner über Erlebnisse aus anderen Beziehungen sprechen? Unmittelbar nach einem Treffen mit jemand anderem? Nur wenn ich frage? Detailliert? Grob? Sind mir Details in Bezug auf geteilte sexuelle Praktiken wichtig oder vor allem Details des emotionalen Erleben?
- Möchte ich, dass mein Partner mit mit abspricht, bevor eine andere Person getroffen wird? Möchte ich, dass mit mir besprochen wird, wenn ein Status mit einem anderen Partner von Date zu Sex, zu Liebe, zu verliebt oder anderem wechselt?
- Möchte ich ein Veto-Recht haben in Bezug auf andere Partner? Das bedeutet, ich kann einen anderen Partner ablehnen, wenn ich nicht möchte, dass mein Partner mit diesem anderen Partner verkehrt.
- Würde ich ein Veto-Recht, dass ich mir selbst zugestehe, auch meinem Partner zugestehen?
- Wie stehe ich generell zu dem Sprichwort "Gleiches mit Gleichem vergelten"? Möchte ich, dass alle Freiheiten, die mein Partner genießt, auch für mich gelten oder denke ich, dass die Freiheiten sehr vom persönlichen Charakter abhängig sind und gar nicht universell für jeden gelten können? (Beispiel: Einer deiner Partner übernachtet gerne bei einem anderen Partner, du selbst hast dieses Bedürfnis nicht bei deinem Partner zu übernachten. Orientierst du dich hier nach deinem Bedürfnis oder orientierst du dich danach, dass wenn der eine woanders schläft, du das auch machst/machen kannst).
- Was brauche ich, um mich in meiner Beziehung sicher zu fühlen?
- Möchte ich andere Partner meines Partners kennenlernen? Möchte ich gemeinsame Unternehmungen realisieren?
- Möchte ich, dass andere Partner meines Partners bei uns übernachten oder wir bei ihnen? Möchte ich - im Fall einer gemeinsamen Wohnung -, dass andere Partner in unsere Wohnung kommen?
- Brauche ich materielle Grenzen, wie beispielsweise, dass ein gemeinsames Bett exklusiv bleibt?
- Kann ich mir vorstellen, mehreren Menschen zu sagen, dass ich sie liebe? Möchte ich das?
- Möchte ich Regeln aufstellen in Bezug auf das Zeitmanagement, wer wann wie viel Zeit mit welchem Partner verbringt?
- Gibt es bestimmte sexuelle Praktiken, die ich exklusiv nur mit einem Menschen teilen möchte?
- Wie möchte ich in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden? Ist die Polyamorie etwas, das ich geheim halte oder offen ausleben möchte? Kann ich mir vorstellen, mit unterschiedlichen Partnern oder mehreren Partnern gleichzeitig in der Öffentlichkeit zu sein?
- Wenn es Kinder gibt: Möchte ich, dass meine Kinder auch andere Partner kennenlernen?
- Wenn es einen Kinderwunsch gibt: Hypothetisch überlegt, wie ließe sich der Kinderwunsch mit der polyamoren Lebensweise vereinbaren? (Das kann man ausschließlich hypothetisch besprechen, da kommt es am Ende ganz sicher doch wieder anders.)
- Gibt es Wünsche in Bezug auf einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt?
Eine polyamore Lebensweise ist keine Maschine, die - wenn man sie einmal richtig eingestellt und programmiert hat - flüssig läuft. Wie in jeder Beziehung bedeuten auch polyamore Beziehungen Arbeit. Allerdings oft in zweifacher, dreifacher, x-facher Art. Denn mehr Menschen bringen mehr Meinungen, Ansprüche, Ideen und Bedürfnisse mit.
Polyamorie bedeutet auch eine Bereitschaft mitzubringen, sich selbst immer wieder zu hinterfragen, zu betrachten, welche Rolle im Beziehungsgefüge man aktuell einnimmt und ob diese mit den Wunschvorstellungen übereinstimmt, viel öfter und klarer hinterfragen und kommunizieren zu müssen, wie man sich fühlt und was man braucht, komplexe und schwierige Themen auch mal mit mehr als zwei Gesprächspartnern diskutieren zu müssen, verletzlich zu sein, intensive Gefühlsumbrüche von rosarot bis zu Verlustängsten in kurzer Zeit zu erleben.
Polyamorie bedeutet:
- Konstante Kommunikationsarbeit
- Hohe Reflexionsbereitschaft
- Bedürfnisorientierte Kommunikation
- Gewaltfreie Kommunikation, die alle Gefühle und Gedanken zunächst zulässt und ihnen Raum gibt
- Urteilsfreies Denken - andere Ansichten und Gefühle werden weder be- noch verurteilt
- Akzeptanz von auseinander driftenden Bedürfnislagen
- Intensive Bemühung für ein hohes Sicherheitsgefühl und Vertrauen
- Konfliktbereitschaft und Diskussionsfähigkeit
- Neugier und Lernbereitschaft Neues über sich selbst zu erfahren
Christina Rüther definiert vier Merkmale, um die Polyamorie von anderen Beziehungsformen unterscheiden zu können :
- erotische Liebe mit mehr als einer Person („Poly“ ist mehr als Freundschaft, ist nicht Monogamie),
- Transparenz und Ehrlichkeit („Poly“ ist nicht betrügen/ fremdgehen),
- Gleichberechtigung und Konsens („Poly“ ist nicht patriarchale Polygynie),
- langfristige Ausrichtung („Poly“ ist prinzipiell nicht Swinging) (2005, S.52-54).
Der ethische Anspruch besteht darin, die Bedürfnisse und Beziehungsrealitäten aller Partner miteinander zu kommunizieren, Aushandlungsprozessen Raum zu geben und nach Möglichkeit einen Konsens zwischen allen Beteiligten zu finden.
Literatur (Ratgeber und Erfahrungsberichte)


Dokumentationen:
https://www.youtube.com/watch?v=Lw6ayjkLnyw
https://www.youtube.com/watch?v=jq08pKi4OeQ
https://www.youtube.com/watch?v=_vyE9A7x8cI
Negative Gefühle - Chance oder Zerstörung?
Der Weg in die Polyamorie ist häufig ein schmerzhafter. Denn du wirst sehr viel Neues über dich lernen. Dadurch, dass alle Selbstverständlichkeiten, die ein eingenormtes Beziehungsmodell wie die Monogamie mit sich bringt, plötzlich abhanden sind, wirst du ganz neu ausloten müssen was du möchtest und brauchst. Du wirst mit Eifersucht, Unsicherheiten, Verlustängsten, Neid zu kämpfen haben.
Es geht nicht darum einen Weg zu finden, mit dem du in deinem polyamoren Modell 24/7 glücklich und verliebt bist. Es wird immer Konflikte geben.
Du darfst Eifersucht erleben und auch Angst; du kannst dann damit arbeiten, wenn du es möchtest. Aus dem Gefühl der Eifersucht oder auch Angst kannst du sehr viel lernen, wenn du in das Gefühl hinein gehst und dich fragst: Warum fühle ich Eifersucht? Was macht mich ängstlich? Wodurch fühle ich mich minderwertig? Warum? Es kann daher sehr erbaulich sein, sich auch den vermeintlich negativen Gefühlen zu stellen und viel Positives aus ihnen herauszuziehen.
Prinzipiell ist Eifersucht weder ein Liebesbeweis noch zwingend nötig noch das Böse schlechthin. Eifersucht lässt sich ganz gut analysieren, oft ist sie eher ein Ausdruck ganz vieler verschiedener Gefühle.
Die Defizit-Logik / Mangel-These
Wie schon weiter oben angesprochen, ist es keine gute Voraussetzung eine monogame Beziehung in eine polyamore Beziehung zu überführen, um damit Probleme auf der Ursprungs-Paarebene zu lösen. In der Regel verkompliziert man damit lediglich alles.
Mangel sollte nicht die Ursache für Nicht-Monogames Begehren sein, denn dann ist die Kompensation über eine Öffnung der Beziehung lediglich eine Symptomverschiebung. In der Regel entscheiden sich Menschen aber auch nicht aus einem Mangel für einen polyamoren Lebensstil, sondern weil sie tradierte Normen, Lebens- und Liebeskonzepte hinterfragen.
Polyamor lebende Menschen bekommen sehr häufig zu hören: "Dann liebst du X halt nicht richtig, wenn du auch noch was mit wem anderen anfängst". Die Mono-Normativität der Exklusivität, die eine beiderseitige maximale Erfüllung darstellen soll und nur in einem monogamen Kontext funktioniert, ist tief in den Köpfen verankert.
Dabei kann Polyamorie auch eine Affektkette produzieren, die zu einer Intensivierung und Steigerung der ursprünglich empfundenen Liebe gegenüber jemandem führt (Sogenannte poly-affektive Steigerung).
https://www.journal-fuer-psychologie.de/index.php/jfp/article/view/322/353
Austausch (Foren/Stammtische/Links)
Es kann hilfreich sein, sich über Gefühle, Arten der Polyamorie, Probleme mit anderen in einem geschützten Rahmen auszutauschen.
http://www.polyamorie.de
https://www.facebook.com/groups/polydeutsch/
http://www.polyamorie.de/poly-stammtische-veranstaltungen-74.html
http://www.polytreff.de/termine
https://polyamory.de
Wir bieten Beratung an,
mit dem Schwerpunkt Polyamorie (unter anderem). Du kannst dich an uns wenden, wenn du Fragen hast, Probleme, Unsicherheiten oder du ein schwieriges Thema mit mehreren Partnern gemeinsam unter Anleitung diskutieren möchtest.

Ist Polyamorie ein kapitalistisches Phänomen?
Zugegeben, diese Frage ist einerseits eine ziemlich große und andererseits erscheint sie auch absurd, da die meisten Menschen, die sich für eine polyamore Liebesweise entscheiden, damit einhergehend Hierarchien, Normen, Gesellschaftsstrukturen kritisch hinterfragen.
Die Frage ist aber nicht unbegründet. Der kapitalistische Mensch, der auf Selbstoptimierung konditioniert wurde, konsumiert nicht nur Produkte, sondern auch Menschen - und vielleicht auch Liebe? Dating-Apps versprechen den kompatibelsten Partner zu finden, Menschen verlassen Beziehungen auf der Suche nach etwas Besserem statt an Konflikten zu arbeiten.
Konstantin Nowotny beschäftigt sich in seiner Masterarbeit (Soziologie) mit dieser spannenden Frage, ich zitiere das Abstract:
"Es steht schlecht um die romantische Liebe in der westlichen Welt. Überall wo Kapitalismus und Industriegesellschaft auf Hochtouren laufen, wo die Großstädte wachsen und die Märkte florieren, werden die Ehen kürzer und häufiger geschieden, die Kinder seltener und selbst die vorehelichen Beziehung wechselhafter. Da, wo die Religion kaum noch eine Rolle spielt, sinkt die Geburtenrate seit Jahrzehnten unter das Reproduktionslevel, sowohl in Europa als auch in den USA.
Das ist kein rein strukturelles Phänomen. Auch auf der Mikroebene, so scheint es, fällt es den Akteuren zunehmend schwerer, einen Partner fürs Leben zu finden, sich den Kinderwunsch zu erfüllen oder – und das ist im größeren Maße der Fall – das Konzept des lebenslangen Partners oder des Kindes überhaupt beizubehalten. Hartmut Rosa schreibt: »Der Lebensabschnittspartner ersetzt heute tendenziell den Lebenspartner.« Das war 2009. Seitdem ist neben dem Trend zum Liebespaar auf Zeit noch ein weiterer (wieder) in den Vordergrund gerückt: die Polyamorie. Einst als Flausen im Kopf der 68er-Bewegung verurteilt, feiert sie nun ein Comeback. Nicht nur Lifestyle-Magazine wie Neon, auch die Feuilletons der großen deutschen Tageszeitungen beschäftigen sich mit der Liebe, die mehr als einen Partner kennt, im zunehmenden Maße. Selbst in zeitgenössischen Serien und Filmen sieht man, so scheint es, immer häufiger Paare in offenen oder polyamorösen Beziehungen, von House of Cards bis GZSZ.
Die Liebe und der Kapitalismus. Schon vor Jahren beschäftigte sich die amerikanisch-israelische Soziologin Eva Illouz mit diesem Thema, zunächst in ihrem Buch Der Konsum der Romantik , später systematischer in Warum Liebe weh tut. Darin macht sie einige bemerkenswerte Beobachtungen: Die Romantik ist ein durch und durch kapitalisiertes Konzept geworden. Kaum ein romantisches Ding, das nicht auch als Produkt existiert. Gleichzeitig verfahren Menschen miteinander auch zunehmend in einer Art Ökonomie der Gefühle: Warum noch in einer Beziehung bleiben, wenn sie sich nicht mehr lohnt ? Wo kann man sein Vertrauen mit der größtmöglichen Rendite investieren? Dating-Plattformen wie Tinder treiben diese Wahrnehmung auf die Spitze. Der potentielle (Sex)Partner ist nur einen Wisch mit dem Zeigefinger entfernt. Er kann konsumiert werden und verschwindet danach, je nach Laune, für immer.
Die in der Bearbeitung befindliche Masterarbeit beschäftigt sich mit dem Thema Polyamorie auf Grundlage einer kapitalistischen Gesellschaftsanalyse. Ausgehend von einem gesellschaftlichen Makrophänomen soll mit unterschiedlichen Konzepten in die Mikroebene eingetaucht werden. Ist Polyamorie ein Symptom einer durchrationalisierten Liebeswelt, oder ist die Monogamie tatsächlich nur ein Residuum der bürgerlichen Tauschgesellschaft, wie Friedrich Engels es einst meinte? Zusätzlich zu Auswertungen von Zeitungen und Zeitschriften werden für die Masterarbeit auch Interviews geführt. Die Teilnehmer müssen dabei nicht selbst polyamoröse Erfahrungen gemacht haben. Präsentiert werden können am Ende nicht nur Zahlen und Fakten zu Formen und Verbreitung von Polyamorie in Deutschland und den USA, sondern auch (anonymisierte) Interviewaussagen und Metaanalysen von Zeitungsartikeln sowie deren theoretische Interpretation – von der Frankfurter Schule bis Rational Choice. Es geht um das schwierige Unterfangen, eine Wertewelt abzubilden und die Logik hinter dem Nutzen von Liebe überhaupt zu ergründen. In einer Welt, in der scheinbar jederzeit alles möglich ist – ist da noch Platz für den einen ?"




